Wie den wenigsten Webdesignern und -entwicklern entgangen sein dürfte, hat Opera angekündigt, in all ihren Produkten die hauseigene Presto-Engine gegen Webkit auszutauschen. So richtig habe ich die Gründe aus den entsprechenden Blogposts nicht herauslesen können, aber die wohl (für Nicht-Opera-Mitarbeiter) auch nicht so wichtig ist, wie die web-weiten Folgen dieses Schritts. An Prognosen hierüber herrscht kein Mangel – von goldener Zukunft bis hin zum Untergang der Webstandards lässt sich so ziemlich jede Aussage im Web finden. Eine besonders schöne Fundgrube stellt Hacker News dar. Ich habe zur Zeit noch keine fertige Meinung zu dieser Angelegenheit und möchte mich an dieser Stelle darauf beschränken, ein paar meiner Meinung nach leicht abenteuerliche Vorstellungen über die Folgen der Webkit-Entscheidung zu besprechen.
Alles wird besser! Auf dem Holzweg sind meines Erachtens vor allem jene, die glauben, dass es Entwicklern mit einer Engine weniger einfacher fallen wird, Web-Frontends zu bauen. Zum einen haben viele nicht ganz so professionelle Entwickler Opera ob seines eher geringen Marktanteils ohnehin völlig ignoriert. Alle, die ihre Werke auch in Opera getestet haben, werden gemerkt haben, dass dieser Browser sich seit jeher sehr standardkonform verhielt und selten die ganz großen Probleme machte (und wenn, dann hat selbst ein mittelschwerer Darstellungsfehler aufgrund des geringen Marktanteils wohl kaum fatale Auswirkungen auf das Gesamtprojekt gehabt). Und vor allem: um zu behaupten, dass es zwischen Browsern, die eine gemeinsame Engine haben, keine großen Unterschiede gibt, muss man die diversen Mobile-Browser ignorieren. Die verwenden zwar fast alle Webkit als Engine, aber in so unterschiedlichen Versionen und Zusammensetzungen mit anderen Komponenten, dass man davon als Webentwickler nicht wirklich viel merkt.
Das Ende ist nah! Die Apokalyptiker-Fraktion sieht hingegen eine neue Browsermonokultur unmittelbar vor der Tür stehen. Das ist, Stand heute (mit neben Webkit noch Gecko und Trident als relevanten Browserengines), natürlich noch längst nicht der Fall. Allerdings kann man das Ende von Presto schon als Wegfall eines Glieds aus der Monokultur-Abwehrkette interpretieren. Immerhin reicht es jetzt, wenn entweder Mozilla oder Microsoft aus dem Browsermarkt ausscheiden oder selbst zu Webkit wechselt, denn das dann bestehende Engine-Duopol könnte sich aufgrund des Übergewichts der Webkit-Browser als instabil erweisen. Aber selbst dann ist nicht gesagt, dass das Web im Innovationsstillstand versackt – die Konkurrenz durch die nativen Plattformen könnte das verhindern. Die Frage ist natürlich, wie der weitere Fortschritt dann aussehen könnte, was uns direkt zu Prognose Nummer drei bringt …
Gut für Webstandards! Manche sagen auch, weniger Engines seien besser für die Entwicklung und Durchsetzung von Standards. Ich weiß nicht so recht. Wenn man der Presto-Engine etwas nicht vorwerfen kann, dann sind das gewohnheitsmäßige Standards-Abweichungen. An dieser Front war Opera sicher nie das größte Problem. Andersherum könnte durchaus ein Schuh draus werden, denn Webstandards richten sich oft nach den Implementierungen – was in allen Browsern vorhanden ist, und sei es noch so größer Käse, wird früher oder später Standard. So war es zum Beispiel mit <center>
oder der grausligen Drag & Drop-API. Mit nun einer Engine weniger fällt es vielleicht etwas leichter, Fakten zu schaffen, die dann in einem Standard münden. Das kann man durchaus gut finden weil es schneller gemeinsame APIs produziert, andererseits ist ein hohes Tempo ein Risiko für die Qualität dieser gemeinsamen Features. Allerdings hat Opera nun auch nicht all seine Entwickler entlassen, sondern lässt diese jetzt an Webkit mitbasteln, d.h. die Stimmen der Vernünftigen, die einst für Presto sprachen und programmierten, sind weiterhin zu hören. Ob das reicht wird man sehen.
Ich selbst habe, wie eingangs erwähnt, noch keine fertige Meinung zu diesem Schritt von Opera. Zu bejubeln finde ich nichts, aber die auch den unmittelbaren Weltuntergang vermag ich nicht festzustellen. Klar, im Prinzip sind das WWW der Webkit-Hegemonie einen Schritt näher gekommen, aber dass demnächst wirklich Mozilla und/oder Microsoft zumachen, fällt mir schwer zu glauben. Und beide haben einen ganz gesunden Marktanteil und können mit jeder Version steten Fortschritt vermelden. Selbst was die Entwicklung von Standards angeht, muss sich erst mal zeigen ob sich überhaupt etwas ändert. Das halte ich zwar noch am wahrscheinlichsten (jedenfalls wahrscheinlicher als eine Browser-Einheitsfront) aber wie genau sich das auswirkt, ist reine Spekulation.
Mein Fazit: Interessante Entwicklung, aber (noch) kein Grund die Gelassenheit zu verlieren.
Kommentare (9)
Dirk ¶
14. Februar 2013, 15:19 Uhr
Die weit auseinander liegenden Positionen in dieser Diskussion haben mich zunächst auch etwas verwundert, allerdings muss man hier genauer hinschauen, wer da in welchem Kontext spricht.
Einerseits meldet sich die Fraktion der Webentwickler, die sich entweder über den geringeren Testaufwand infolge der Webkit-Engine freut oder aber aber die Feinheiten der UI von Opera vorauseilend nachtrauert. Ob Freude oder Frust - für diese Fraktion ist Opera ein Nischenbrowser, der innerhalb von Europa nur niedrige einstellige Nutzerzahlen zu verzeichnen hat.
Und andererseits findet man zahlreiche Wortmeldungen bekannter Köpfe von Goolge, Mozilla und Opera. Auch dies sind Entwickler, allerdings weniger Webentwickler als dass sie sich um die Weiterentwicklung der Browser, Renderingenines und/oder Webstandards bemühen. Und aus deren Sicht ergibt sich ein ganz anderes Bild. Opera ist als einer von vier Herstellern ener Rendering-Engine seit über 15 Jahren am Markt und um Fortschritte im Standardisierungsprozess bemüht. Bedenkt man nun noch, dass Microsoft zwischenzeitlich für Jahre abgetaucht war und Apple sich momentan bei der Mitarbeit weitgehend zurückhält, so ist Opera neben Microsoft, Google und Mozilla in diesem Rahmen ein echtes Schwergewicht und mit dem Wegfall von deren Engine bricht hier schon ein recht dicker Stützfleiler in der Arbeitswelt dieser Entwickler weg.
Erstaunt hat mich eher, dass sich Verteter der beiden Lager plötzlich so emotional gegenüberstehen, dabei sind es zwei nachvollziehbare Sichtweisen von völlig verschiedenen Standpunkten und beiden sollte man Gehör schenken.
florian ¶
14. Februar 2013, 16:45 Uhr
Das Opera auf Webkit umsteigt ist verhältnismäßig wertfrei. Der Marktanteil von Opera wird nur in Europa gemessen und macht hier irgendwas im Dezimalstellenbereich aus (in allen anderen Regionen läuft Opera unter Sonstige).
Dementsprechend gering ist der Einfluss auf die HTML-Standards.
Viel gewichtiger finde ich, ob und ggf auf welche JS-Engine Opera wechselt. Das geht aus den Erklärungen, die ich dazu gelesen habe, nicht hervor.
Die Entwicklung von HTML und CSS ist ein ziemlicher Selbstläufer, das wirklich limitierende ist ja die JS-Engine. (In diesem Zusammenhang falle ich auch ständig etwas vom Glauben ab, Peter ... bei vielen der von dir mit den verschiedenen Browser-Implementierungen ziehst du die Webkit-Version heran?!)
Peter Kröner ¶
14. Februar 2013, 16:56 Uhr
Aber das ist doch ein Trugschluss, oder? Zwischen Presto-Opera und Webkit-Chrome gibt es weniger Unterschiede als zwischen Webkit-Chrome und dem ranzigen, aber auch auf Webkit basierenden Android-Browser.
Peter Kröner ¶
14. Februar 2013, 16:56 Uhr
Wenn die Wahl zwischen den API-Varianten A und B ansteht, reicht es, wenn ein einziger, kleiner Browser B implementiert um es überhaupt zu ermöglichen, B auszuprobieren. Wenn es von vornherein nur -webkit-A gibt, hat Variante B keine Chance getestet zu werden, die API-Arbeitsgruppe wird nie Feedback zu B bekommen usw.
V8, wie Chrome/Chromium.
Inwiefern ist das ein Selbstläufer? Was wird durch die JS-Engine limitiert?
Den Satz verstehe ich nicht.
Dirk ¶
14. Februar 2013, 22:23 Uhr
Sicher. Aber wieviele Frontendentwickler testen so ausgiebig die ganzen Webkits. Daher der Jubel - wenigstens nach meiner Vermutung. Blickt man in die Kompatibilitätslisten von PPK kann einem schon übel werden.
Ich halte den Wechsel für Opera ja auch grundsätzlich für einen guten Weg. Aber eher, weil ich Opera auch als einen Browserhersteller kenne, der es mit der Entwicklercommunity nicht so hat. Kein Bugtracker, keine Bug-Doku und 0-8-15 CSS-Bugs brauchten auch 5..6 Jahre bis zum Fix. Und mit CSS3 hatte ich eher das Gefühl, dass sie von der Entwicklungsgeschwindigkeit von Mozilla und Chrome etwas überrannt wurden - zusätzlich zu dem Vendor-Prefix Problem. Was bleibt einem kommerziellen Unternehmen da langfristig an Wahlmöglichkeiten?
erlehmann ¶
15. Februar 2013, 11:20 Uhr
Ich hoffe ja, dass Opera den Quellcode der Presto-Rendering-Engine unter einer freien Lizenz veröffentlicht. Håkon Wium Lie (Opera-CTO) schließt diese Möglichkeit nicht aus.
florian ¶
16. Februar 2013, 22:26 Uhr
Hast du eine Quelle?
Die Entwicklung von HTML und CSS sind ziemliche Selbstläufer ... man verzeihe mir die Ungenauigkeit im Ausdruck! ;)
Das einzige strittige Thema in diesen Bereichen ist glaube ich Responsive Images. Es gibt zugegeben auch immer ein paar Entwicklungen bei neuen HTML-Elementen -- <main> --, ich möchte aber stark bezweifeln, dass einzelne Engines -- wie Presto --daran viel ändern.
Zweite Ungenauigkeit: Die Entwicklung von JS/ES und dementsprechend seine Implementierung als Engine ist, denke ich, das, was Browser zukünftig eher unterscheidet.
Ich musste gerade selbst mal nachschauen ... sorry, ich hatte irgendwie im Kopf, dass du Bugs in JS-Implementierungen demonstrierst und dabei die HTML/CSS-Engine als "Schuldige" heranziehst. Das ist falsch, entschuldige, ich habe dich da mit jemandem verwechselt.
Peter Kröner ¶
16. Februar 2013, 22:45 Uhr
Erster Satz.
Was genau lässt dich den Eindruck eines Selbstläufers gewinnen? All das Gezank um z.B. das
datetime
-Attribut, die Unstimmigkeiten rund um<main>
(z.Z. große Differenzen zwischen den Spezifikationen von W3C und WHATWG), Microdata und was nicht alles … mir persönlich erscheint das alles eher kompliziert. Gleiche Geschichte bei CSS. Die Syntax von Gradients und Flexbox musste mühsam zusammengekämpft werden und Webkit-Browser sind, soweit ich weiß, die einzigen, die sich immer noch demresolution
-Media-Feature verweigern und nurdevice-pixel-ratio
machen. Wenn man deren Übergewicht auf mobilen Geräten bedenkt, wo High-DPI-Screens ja z.Z. ganz groß im Kommen sind, würde ich sogar behaupten, dass noch gar nicht klar ist wie das hier ausgeht. Also Selbstläufer … ich weiß ja nicht.Wo würden die sich denn unterscheiden? An sich sind da doch alle vergleichsweise brav und richten ihre Implementierungen nach dem Standard statt wie bei allen anderen Webtechnologien umgekehrt. Klar ist da dann im Laufe der Zeit mal der eine schneller, mal der eine. Und dann hat der eine zuerst ES6 Maps und der andere zuerst ES6 Sets. Aber ob das den Unterschied macht?
Jörg ¶
18. Februar 2013, 02:12 Uhr
Ich finde die Entscheidung zwar, im Hinblick auf die "Artenvielfalt" und weil die Opera-Engine ja doch sehr standardaffin ist, auch bedauerlich, sehe aber vorläufig ebenfalls keinen Grund für Panikattacken oder Webuntergangsprognosen. Zunächst wird einfach nur der Kreis der unterschiedlichen Tools, bei denen man sich auf eine standardkonforme Darstellung weitgehend verlassen konnte, kleiner. Warten wir einfach mal ab, ob darüber hinaus Auswirkungen spürbar werden.