Smartwatches werden in meiner Filterblase überwiegend belächelt. Es reicht nicht einmal für die übliche Technikfeindlichkeit im Stile von das braucht doch kein Mensch
und OMG WTF BND NSA Überwachung!!11
– es werden einfach nur Witze gemacht. Demnach dürften diese Dinger wirklich komplett egal sein, oder? Trotzdem kam mir vor kurzem die Idee, dass für mich ein solches Teil wirklich nützlich sein könnte. Und so habe ich mir eine Smartwatch geklickt und bin damit ein paar Tage durch die Gegend gewandet. Dieser Artikel ist weniger ein Tech-Review als vielmehr eine Erfahrungsbericht zum Konzept Smartwatch an sich. Es geht hier zwar um Android-Hardware, aber die Erkenntnisse sollten 1:1 auf das Apple-Universum übertragbar sein.
Motivation
Der eigentliche Anlass für die Anschaffung der Smartwatch war mein zunehmend nicht mehr zu gebrauchenes Galaxy S2. Das Telefon ist schlicht, flexibel, robust, konnte zweimal problemlos in Eigenregie repariert werden und hat mir jahrelang treu gedient. Allerdings ist es mittlerweile selbst für ruckelfreien Internetkonsum zu schwach, der Lack des Metallrahmens ist nur noch in Spuren nachweisbar und auch der Ersatzakku des Ersatzakkus ist am Ende. Ein neues Telefon sollte her, am besten ein 1:1-Ersatz mit mehr Power. Sowas scheint aber nicht angeboten zu werden. Heutzutage ist meist ist der Akku fest eingebaut und die Bildschirme haben Flächen, die man am besten in Vielfachen des Saarlandes angibt – einhändige Bedienung ausgeschlossen. Mir war nicht danach, dafür 500 Euro und mehr auf den Tisch zu legen.
Doch auch nach Monaten der Wartezeit kam kein mir genehmes Telefon auf den Markt. Und so kam ich auf die Idee, dass sich die zwei Hauptpunkte meines Anforderungskatalogs eventuell auch anders als über ein zu 100% passendes Telefon erfüllen lassen könnten:
- Ursprüngliche Anforderung: Auswechselbarer Akku!
Motivation: Nicht 500 Euro für ein Telefon bezahlen, das am Ende wegen seines Akkus in den Müll wandert, obwohl der Rest noch funktioniert.
Alternativlösung: Weniger teures Telefon kaufen, bei dem mir die frühzeitige Verschrottung nicht so sehr schmerzt. - Ursprüngliche Anforderung: Kleines Telefon für einhändige Bedienung!
Motivation: Unterwegs, d.h. zu Fuß mit Gepäck in der Hand müssen Navigation, Gate-Check, E-Mail-Empfang und dergleichen bequem möglich sein.
Alternativlösung: „Normales“ großes Telefon anschaffen und mit dem durch den Billigkauf gesparten Geld einen Second Screen für das Telefon, also eine Smartwatch finanzieren.
Diesen Plan habe ich in der Tat umgesetzt. Günstige Riesen-Telefone bekommt man heutzutage direkt vom chinesischen Hersteller, die durch die Umgehung von Zwischenhändlern wie Samsung und Apple billiger verkaufen können. In meinem Fall ist es das monströse OnePlus One geworden. Das Telefon ist nicht die ober-absolute Crème de la Crème, aber einem 350-Euro-Gaul (und das ist schon die teuerste Variante) schaut man nicht so genau ins Maul. Dazu habe ich nach dem Studium einiger Uhr-Reviews eine LG G Watch R (Amazon-Link) für rund 200 € geklickt.
Erfahrungsbericht
Für mich und meine Luxusprobleme funktioniert die Kombination aus Riesentelefon und Hilfscomputer am Handgelenk ganz hervorragend. Wenn ich entspannt im Zug sitze, habe ich ein größeres Telefon, woran man sich sehr schnell gewöhnt. Viele lästige Zwischendurch-Am-Handy-Herumfummel-Momente werden hingegen durch die Uhr abgefangen:
- Nachricht geht ein? Auf der Uhr kann man schnell eine Notification-Vorsortierung vornehmen und entscheiden, ob man das Telefon in der Hand nehmen muss oder nicht. Wurde ein Tweet gefavt? Zur Kenntnis nehmen und nichts weiter tun. Eine E-Mail berichtet, dass auf einer relevanten Github-Issue ein „+1“-Kommentar eingegangen ist? Direkt von der Uhr aus die E-Mail löschen. Eine SMS der Airline berichtet, dass dein Flug gestrichen wurde? Jetzt ist es vielleicht der Moment gekommen, zum Telefon zu greifen und nachzuforschen. Ansonsten kann der Klotz in der Tasche liegen bleiben und Mainframe spielen. Welche Apps Benachrichtigungen an die Uhr durchreichen können, ist frei konfigurierbar.
- Für Navigation in einer fremden Stadt braucht man eigentlich keine computergestützte Karte – es reicht, wenn man gesagt bekommt, wann man links abbiegen muss. Ein entsprechendes Vibrations-Signal reicht da eigentlich und ein entsprechender Pfeil passt auch bequem auf das Smartwatch-Display. Praktisch ist dabei auch, dass der Blick auf die Uhr nicht so sehr ablenkt, dass man dabei je gegen einen Laternenpfahl laufen könnte.
- Ein Timer oder Alarm lässt sich schnell direkt an der Uhr einstellen und hat den großen Vorteil, wirklich nur am eigenen Handgelenk stattzufinden. Niemand bekommt (anders als beim laut summenden Telefon) mit, dass man gerade an etwas erinnert wird, d.h. niemand fühlt sich genötigt, mitten im Satz ein Gespräch abzubrechen. Ich nutze diese Funktion vor allem, um mich bei Schulungen an Pausen erinnern zu lassen. Der Alarm geht 15 Minuten vor der Pause los, so dass bequem noch das aktuelle Thema zu Ende bringen kann.
- Eingeschränkt nützlich scheint mir die Uhr auch für das Lesen von Notizen geeignet zu sein. Normalerweise bin ich in Sachen Notizen, Einkaufszetteln und Todo-Listen ganz klar im Papier-Camp, da sich Kugelschreiber und Papier einfach schneller bedienen lassen als irgendwelche Apps oder Gadgets. Aber um sich an einem fremden Bahnhof oder auf einem Flughafen daran zu erinnern, wo man eigentlich nochmal hin wollte, scheint mir die Uhr eine handliche Alternative zu sein. Die meisten Apps sind nicht besonders gut darin, Text auf dem winzigen Display darzustellen, aber mit Google Keep klappt es ganz passabel.
- Auch Mediensteuerung und Lautstärkeregelung funktionieren recht komfortabel.
Die Uhr ist also eine hübsche Ergänzung wenn es darum geht, Internet-Informationsfluss vorzufiltern, sich an Dinge erinnern zu lassen oder sich zurechtzufinden – jeweils ohne an einem unhandlichen Telefon herumzufummeln.
Beklagen kann ich allerhöchstens ein paar technische Details der LG G Watch R und von Android Wear, Googles Smartwatch-App für Telefone. Die Uhr wie das Telefon jeden Abend aufzuladen ist kein Problem und der Akku hält bei moderater Benutzung auch zwei Tage und mehr. Wenn es überhaupt ein Strom-Problem gibt, dann noch am ehesten auf Seiten des ständig mit Bluetooth funkenden Telefons. Die LG G Watch R braucht ein spezielles Ladegerät und möchte man davon mehr als ein besitzen (weil man wie ich stets eins im Koffer liegen haben möchte), ist man auf windige eBay-Händler angewiesen. Kabelloses Laden oder USB wäre angenehmer. Ein Helligkeitssensor wäre eine sinnvolle Erweiterung der Hardware gewesen, denn ohne einen solchen Sensor ist die Display-Helligkeit nur fest einzustellen. Dank des starken Akkus ist das kein großes Problem, denn nichts spricht dagegen, die Helligkeit einfach voll aufzudrehen. Auch ohne einen platzhungrigen USB-Anschluss ist die Uhr für meinen persönlichen Geschmack recht groß. Gemessen an anderen Herrenarmbanduhren ist sie das zwar nicht, aber ich bin eben eine halbe Portion und da wirkt das Gerät schon ein wenig klotzig. Und das Lederarmband finde ich recht langweilig, sollte sich aber vom Fachmann ohne weiteres ersetzen lassen. Wirklich gravierende Nachteile sehen anders aus, so dass ich mit dem Kauf der Uhr ganz zufrieden bin. Ärgerlicher ist die in vielerlei Hinsicht hakelige um umständliche Android-Wear-Software, aber so ist das eben bei Android – und nach dem erstmaligen Einrichten ist das auch egal.
Braucht man sowas?
Wäre auch Otto Normalverbraucher mit der Anschaffung eines vergleichbaren Geräts gut beraten? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich bin ein effizienzvernarrter Nerd mit zu vielen Internetkontakten, der ständig unterwegs ist und das Glück hat, mal eben 200 Euro übrig zu haben. Bei einer Smartwatch handelt es sich um einen Hilfscomputer am Handgelenk, was mit einer herkömmlichen Armbanduhr meiner Meinung nach noch weniger gemeinsam hat, als ein Telefon mit einem verkabelten Wählscheiben-Telefon.
Ein Smartphone ist nicht in erster Linie ein Ersatz für ein altmodisches Kabel-Telefon oder 90er-Jahre-Handy. Es stellt vielmehr einen tragbaren Internetanschluss dar, mit dem sein Besitzer jederzeit mit Freunden oder der Arbeit in Kontakt bleiben kann. Das kann für so ziemlich Jedermann ein Gewinn sein. Den Hilfscomputer hingegen kann man meiner Meinung nach vor allem dafür gebrauchen, zu viel Internet etwas besser zu managen. Die Navigations-Funktion ist ein höchstens ein hübsches Extra und den ganzen Fitness-Krempel kann ich nicht wirklich einschätzen, da sowas bei mir immer noch mit Stift und Papier bzw. Excel-Tabellen erfasst wird. Als wirkliches Must-Have-Killerfeature erscheint mir das aber auch nicht. Die Kehrseite einer Smartwatch ist, dass sie mit der normalen Armbanduhr durchaus ein vorhandenes Accessoire vom Handgelenk verdrängt. Letztere ist oft ein Schmuckstück und ggf. Statussymbol, das seinen Wert über Jahre behält oder gar noch steigert. Der Hilfscomputer ist ein rapide veraltendes Stück Kunststoff und/oder Blech. Das sollte man nicht verwechseln und man sollte sich genau überlegen, ob man für sowas die mehreren hundert Euro wirklich übrig hat.
Fazit: die Smartwatch macht meinen persönlichen Alltag ein klein wenig effizienter und das ist mir die 200 Euro wert gewesen. Sich vor dem Kauf eines solchen Gerätes gründlich zu überlegen, was damit anzustellen gedenkt, ist aber keine schlechte Idee. Es geht bei diesen Geräten nicht um Armbanduhren (denn Armbanduhren sind die im Vergleich zu Smartwatches besseren Armbanduhren) sondern um Miniatur-Hilfscomputer der allerersten Generation.